Im Judentum und im Islam dominiert der Glauben an das Weiterleben nach dem Tod oder dem der Auferweckung der Toten durch Gott. Ein wesentlicher Bestandteil dessen ist der Erhalt des irdischen Körpers nach dem Einsetzen des Todes, also die Verhinderung des natürlichen Verfallsprozesses, wofür verschiedene Praktiken genutzt werden. Die Beisetzung sollte auch möglichst innerhalb eines Tages nach dem Tod der Person stattfinden.
Die Bruderschaft der Hevra qadisha bezeichnet eine Institution, die den gesamten Sterbeprozess vom Tod bis zum Begräbnis bewacht und organisiert. Die Bilder zeigen die Arbeit dieser Hevra qadisha (1+2), die neben der Versorgung des Leichnams und der Organisation der Begräbnisprozession auch die Aushebung des Grabes und den Bau eines Sarges umfasst. Nach der rituellen Waschung des Leichnams wurde er in helle weiße Tücher, wie beispielsweise dieses Grabtuch mit Tiraz-Inschrift (3), gewickelt. Tiraz-Gewänder wurden als Geschenk oder Bezahlung an Höflinge, Gäste des Hofes, Armeeoffiziere oder Staatsbeamte ausgegeben. Die Tücher stellten zudem ein politisches Mittel der Diplomatie dar, da der Erhalt eines solchen Gewandes eine Ehre und ein Privileg zugleich war. Neben der Normalbevölkerung wurden auch Heilige auf diese Art und Weise bestattet. Teilweise errichtete man ihnen prächtige Mausoleen, wodurch ihre Gräber zu einem bedeutsamen muslimischen Pilgerort wurden. Der Besuch von Heiligengräbern (4) stellt im Islam eine weit verbreitete religiöse Praxis dar, da nach dem Glauben gelebt wird, dass das Grab die Segenskraft des Heiligen verströmt.
The Jewish Museum in Prague
Inv. 12.843/3
Öl auf Leinwand
je Tafel: H 55; B 110 cm
1772, aus Prag
Die Hevra qadisha („heilige Bruderschaft“) entwickelte sich in jüdischen Gemeinden, um Sterbende zu begleiten, Leichname zu versorgen und das Begräbnis durchzuführen. Die Bestattungsrituale zielen auf eine körperliche Auferstehung ab. Seit wann diese Bruderschaften existierten ist unklar, eventuell seit dem Mittelalter in Iberien, in Prag seit 1564.
Die zwei, von insgesamt 15 Bilder, welche hier ausgestellt sind, stammen aus dem Jahr 1772, und zeigen die Aufgaben der Bruderschaft, wie der Besuch beim Sterbenden und das Gebet am Sterbebett. Zunächst wird der Leichnam, mit einem Tuch bedeckt und auf den Boden gelegt, während einem Gebet folgt die rituelle Waschung nach jüdischem Reinheitsgesetz. Ebenso bereitet die Bruderschaft die weißen, den Hohepriester im Tempel symbolisierenden, Totengewänder, sowie den Gebetsschal vor. Weitere Aufgaben sind die Aushebung des Grabes, der Sargbau, die Organisation der Begräbnisprozession, das Begräbnis selbst, ein Nachruf und ein gesungenes Gebet, sowie eine rituelle Händewaschung der Bruderschaft. Die Bilder wurden wahrscheinlich vom Vorstand der Bruderschaft in Auftrag gegeben, welche selbst Dargestellt sind. Es handelt sich in allen Bildern wahrscheinlich um Darstellung realer Personen. Für Frauen existierten eigene Frauengemeinschaften mit ähnlichen Aufgaben.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 117.
Staatliche Museen zu Berlin, Museum für
Islamische Kunst
Inv. I. 5564
Leinen (Leinwandbindung) und Seide (gewirkt)
H 44,5; B 43cm
967/968 n. Chr., 357 d. H., aus Ägypten
Inschrift:
و نيسمخ عبس ةنس هلمعب هاقب ه ّللا لاطأ نينمؤملا ريمأ ةئمثلث
„…dem Befehlshaber der Gläubigen, möge Gott seine Existenz weiterhin erhalten, [er hat befohlen] ihn (den Stoff) herzustellen im Jahr 357“. Dieses ägyptische Leinentuch wird auf die Jahre 967/968 datiert, fällt damit in die Zeit des Abbasidische Ägyptens, kurz vor der Eroberung die Fatimiden und stammt aus einem Fatimidischen Grab. Tücher mit Ṭirāz-Inschrift wurden während dieser Zeit als Grabtücher verwendet. Das Wort ṭirāz heißt „Stickerei“ und bezeichnet gestickte Schriftbänder auf Ehrengewändern. Im Kontext von Begräbnissen spielten Kleidungsstücke mit Ṭirāz-Inschrift, welche also den Namen des Kalifen trugen, eine besondere Rolle als Segenspendende Objekte. Bei islamischen Begräbnissen wird der Leichnam gewaschen, bevor er in meist drei helle, weiße Tücher gewickelt und möglichst direkt bestattet. Von Fatimidischen Kalifen wissen wir, dass sie getragene Kleidung an Personen spendeten, um nach dem Tod durch den kalifalen Segen beim jüngsten Gericht zu unterstützen. Selbiges ist mit Bezug zum Propheten Muhammad und seinen Gefährten überliefert. Bereits der Name des Kalifen auf Stoff galt als segenspendend, unabhängig ob dieser ihn selbst besessen hatte.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 126.
Privatbesitz Monika Springberg
Fotopapier
2019, Foto: Monika Springberg, aufgenommen in Gubarga (Indien)
Der Besuch von Heiligengräbern ist im Islam eine wichtige religiöse Praxis, da aus dem Grab der verehrten Person die Segenskraft des Heiligen verströmt werden soll. Pilger beten, opfern Blumen, Geld, Tücher, berühren das Grab und binden rot-gelbe Fäden an die Umzäunung des Kenotaphs, um in Kontakt mit dem Heiligen zu treten und seine baraka zu erhalten. Mit den Bändern verbinden sie oft einen Wunsch, dessen Erfüllung der Heilige durch seine Fürsprache bei Gott bewirken soll, ebenso bleibt etwas von Pilger physisch bei dem Heiligen präsent. Der Schrein des Sufi-Heiligen Muhammad Gisudaraz, dessen Abstammung auf den Propheten Muhammad zurückgeht, ist der bedeutendste muslimische Pilgerort auf dem zentralindischen Dekkan. Sein Leben verbrachte er größtenteils in Delhi, wo er 1356 als Nachfolger von Nāṣir ad-Dīn Čerāǧ-e Dilhi als Ordensoberer des Sufiordens der Chishtiyya fungierte. Bereits die Delhi-Sultane glaubten an eine Unheil abwendende Wirkung seines Leichnams in der Stadt. Im Jahr 1398 verließ Gisudaraz Nordindien, wegen den heranstürmenden Mongolen und kam nach Gulbarga, zu den Bahmani Sultanen. Nach seinem Tod ließ Bahmani Sultan Ahmad ein Mausoleum innerhalb seines Regierungssitzes bauen.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 125.