Kann ich mich mit Göttern identifizieren? Wenn man einige Götterdarstellungen der griechischen und römischen Mythologie näher betrachtet, kann die Frage eindeutig bejaht werden. Hier werden die Götter als menschenähnliche Wesen mit übernatürlichen Kräften dargestellt. Durch die menschlichen Charakterzüge oder Handlungsweisen stellen sie nicht nur ein Objekt zur Anbetung dar, sie sind fassbar und man kann sich leichter mit ihnen identifizieren.

So wird aus einem Fluss oder dem Meer, die durch Naturkatastrophen eine Gefahr für die Menschen darstellen, der Flussgott Gela, der auf den beiden sizilischen Münzen (1) & (2) als Stier personifiziert wird oder der Meeresgott Triton auf einer schwarzfigurigen Trinkschale (7) – ein Mischwesen aus Seeschlange mit menschlichem Oberkörper. Die zerstörerischen Kräfte von Fluss oder Meer bekommen ein Gesicht und werden zugänglicher für die Menschen. 

Auch andere Gegenstände können durch eine Vergöttlichung näher an den Menschen heranrücken. So wird der Berg Argaios auf einigen Münzen der Stadt Kaisareia (4) als Gott personifiziert oder Gottheiten wie Aphrodite wer￾den durch die Darstellung ihres Kultbildes in Form eines Steinmales auf einer Münze von Zypern (3) ersetzt. Auch der griechische Götterbote Hermes (5) oder sein römisches Pendant Merkur (6) werden stets mit menschlichen Attributen und Gesten abgebildet und werden so zu einer Identifikationsfigur. Als Götter der Händler und Reisenden sprechen sie zusätzlich noch die Normalbevölkerung an.

Objekt 1&2 | Zwei sizilische Münzen mit Flussgottdarstellung

Archäologisches Museum der Universität Münster, Inv. M 8419; Inv. M 8434
Silber; Bronze
M 8419: G 17,40 g; Dm 24 mm; Stempelausrichtung: 3 h;
M 8434: G 4,71 g; Dm 19mm; Stempelausrichtung: 2 h
M 8419: ca. 480/475–475/470 v. Chr., aus Gela (Sizilien);
M 8434: ca. 420–405 v. Chr., aus Gela (Sizilien)

Anthropomorphe Darstellungen von Flüssen sind in der Antike nichts Ungewöhnliches. Flüsse sind von zentraler Bedeutung für das Leben der Menschen, etwa für die Bewässerung von Feldern oder als Transportweg. Gleichzeitig stellen Fluten und starkes Hochwasser eine unvorhersehbare und unkontrollierbare Gefahr für die Menschen dar. Zudem können größere Gebiete austrocknen, wenn Flüsse ihren Lauf ändern. In Anbetracht dieses Kontrastes ist es also nicht verwunderlich, dass Flüsse auch auf Münzen thematisiert werden. Wie auch auf diesen Münzen wird der Flussgott häufig als anthropomorpher Stier dargestellt, um das ambivalente Wesen des Flusses abzubilden. Die Stadt Gela wurde im 7. Jh. v. Chr. von griechischen Siedlern auf Sizilien gegründet und war geostrategisch günstig an der Mündung des gleichnamigen Flusses gelegen. Auch auf den Münzbildern der Stadt spielt der Fluss eine zentrale Rolle und kommt in verschiedenen Variationen vor. Auf der Münze aus den 470er Jahren v. Chr. wird der Flussgott Gela anthropomorph als Stier mit menschlichem Kopf abgebildet. Es ist hier lediglich das Vorderteil des Tieres (die Protome) zu sehen. Einige Jahrzehnte später, zwischen 420 und 405 v. Chr., zeigt eine weitere Münze der Stadt den bartlosen Kopf eines jungen Mannes, bei dem einzig die Stierhörner als Erkennungsmerkmal des übermenschlichen Ursprungs bleiben.

Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 16.

Objekt 3 | Münze des Koinon von Zypern
mit Heiligtum
der Aphrodite von Paphos

Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, Inv. 18223367
Bronze
G 16,63 g; Dm 32 mm; Stempelausrichtung: 12 h
209–211 n. Chr., von Zypern

Aphrodite, die Göttin der Weiblichkeit in all ihren Facetten (Liebe, Schönheit, Fortpflanzung), besaß auf Zypern eines ihrer bedeutendsten Heiligtümer. Archäologische Reste des Heiligtums in Alt-Paphos bieten kaum Rückschlüsse auf das Aussehen des Heiligtums. Deshalb ist man zur Rekonstruktion auf Münzen der römischen Kaiserzeit angewiesen. Besonders an dem Heiligtums ist, dass im Zentrum des Mittelbaus ein Baitylos steht, ein kegelförmiges, anikonisches Kultbild der Aphrodite. Der römische Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus beschreibt in seinen „Historiae“ 2,2: „Eine solche Darstellung von ihr findet sich nämlich sonst nirgends“. Man vermutet, dass es sich hierbei um die Wiedergabe eines 1,22 m hohen, unbehauenen schwarzgrünen Steins handelt, der 1913 im Gebiet des Heiligtums entdeckt wurde und heute im Regionalmuseum von Kouklia/ Alt-Paphos ausgestellt ist. Seit augusteischer Zeit ersetzte dieses anikonische Kultbild die Wiedergabe der Aphrodite mit menschlichen Zügen auf Münzen. Bei einigen Prägungen, wie auch auf der hier gezeigten unter Geta, ist der obere Teil des Kultbildes verziert. Ob es sich dabei um eine Form von figürlicher Wiedergabe mit seitlich erhobenen Armen und Kopf handelt, kann jedoch nicht eindeutig belegt werden.

Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 14.

Objekt 4 | Münze aus Kaisareia mit
Abbildung des personifizierten
Berges Argaios als Gott

Archäologisches Museum der Universität, Inv. M 1379
Münster (ehemals Sammlung Theobald Bieder)
Bronze
G 27,31 g; Dm 37 mm; Stempelausrichtung: 12 h
218/219 n. Chr., aus Kappadokien (Türkei)

Die Rückseite der Bronzemünze aus Kappadokien zeigt eine Figur (möglicherweise Apollo) im Hüftmantel und mit Strahlenkrone sitzend auf einem Felsblock, die rechte Hand ist nach vorne ausgestreckt und hielt wahrscheinlich einen Zweig in der Hand. Die linke Hand liegt auf einem Globus auf. Umrandet wird die Figur von zwei aufgerichteten steinartigen Kultmalen (baityloi), deren Funktion oder Bedeutung nicht mehr rekonstruiert werden kann. Im Hintergrund links über der Figur ist der Berg Argaios abgebildet. Die Fläche des Bergmassivs, die aus dem erloschenen Lavagesteins des ehemaligen Vulkans besteht, umfasst 1300 km². Nördlich am Fuß des 3916 m hohen Berges liegt die Münzstätte Kayseria, in der die Bronzemünze geprägt wurde. Der Argaios galt als Synonym für die Region und römische Provinz Kappadokien und erscheint auch in realistischer Darstellung auf zahlreichen Münzen, Gemmen und in der Rundplastik. Die bedeutende Verehrung des Berggottes ab römischer Herrschaft, erstmalig unter Marcus Antonius ab 37 v. Chr., beschränkt sich indes auf die Region Kappadokiens und deren Provinzhauptstadt Kayseria, sodass der Berg neben seiner Vergöttlichung gleichzeitig die Präsenz der römischen Herrschaft widerspiegelt.

Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 15.

Objekt 5 | Kannenfragment mit Hermes-Darstellung

Archäologisches Museum der Universität, Inv. 717
Münster
Ton
H 13,2; max. Dm 11,5 cm
530–520 v. Chr., aus Athen

Das erhaltene Oberteil der schwarzfigurig bemalten Kanne ist am Gefäßhals mit einem umlaufenden, ornamentalen Efeu-Band bemalt. Darunter ist zentral der Oberkörper einer nach rechts gewandten Person zu sehen. Sie kann als Götterbote Hermes aus der griechischen Mythologie identifiziert werden. Das wird durch die Kleidung, die die eines Reisenden ist und des Botenstabs, deutlich. Hermes ist außerdem der Gott der Händler, Diebe und der Reisenden. Attribute wie Reisehut, Hermesstab und das Knielaufschema, das hier anhand des erhobenen Oberschenkels identifiziert werden kann, sind typisch für griechische Ikonographie des anthropomorph dargestellten Gottes. Der geöffnete Mund und der zum Redegestus erhobene Zeigefinger stehen für eine offene Kommunikation des Hermes. Sie symbolisieren also die charakteristische Vermittlungsrolle des Gottes.

Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 17.

Objekt 6 | Statuette des Merkur

Archäologisches Museum der Universität, Inv. 2295
Münster
Bronze
H 7,1 cm
wahrscheinlich Ende 1. Jh. v. Chr. – Beginn 1. Jh. n. Chr.,
aus Westanatolien, Fundort unbekannt

Die Statuette zeigt einen Gott. In der angewinkelten linken Armbeuge hält er einen Stab, um dessen oberes Ende sich zwei Schlangen winden. In der vorgestreckten rechten Hand ist ein Geldbeutel erkennbar. Im Haar, zentral über der Stirn, trägt er ein Blatt, das inmitten von zwei seitlichen Kopfflügeln senkrecht aufragt. Die Gestalt lässt sich aufgrund des Botenstabs (caduceus) als der römische Gott Merkur identifizieren, welcher der Schutzgott des Handels, der Boten und auch der Diebe ist. Im Griechischen wird der Gott Hermes genannt. Diese Merkur-Statuette zeichnet sich jedoch durch eine unterschiedliche Ikonographie zum klassischen griechischen Hermes aus. Der Geldbeutel zeigt nämlich eine monetäre Interaktion an und steht für dessen Bedeutung als Gott der Händler und Kaufmänner. Als menschliche Gestalt mit menschlichen Attributen dargestellt, ist er eine nahbarer und eine größere Identifikationsfigur für die Verehrenden. Aufgrund des Motivs des Lotusblattes über der Stirn wird eine Herkunft aus dem östlichen Mittelmeerraum, konkreter Ägypten, angenommen. Es gibt stilistische Ähnlichkeiten zu Merkur-Statuetten aus dem ganzen Römischen Reich.

Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 18.

Objekt 7 | Triton, der Meeresgott

Archäologisches Museum der Universität, Inv. L GV 251
Münster
Ton
H 10,9; Dm mit Henkel 30,5 cm
ca. 525–500 v. Chr., aus Attika

Auf beiden Seiten der Schale ist jeweils ein Augenpaar zu sehen, zwischen denen sich je ein nach rechts gerichtetes Meereswesen befindet. Das hier abgebildete Mischwesen besteht aus einem Schlangenunterkörper und einem menschlichen Oberkörper. Dieser oberkörperfreie Mann mit rot gelocktem Spitzbart und Tierohren ist nach links gerichtet. Dargestellt ist der Meeresgott Triton, Sohn von Poseidon und Amphitrite, welcher sowohl menschliche als auch tierische Attribute aufweist. Der Ursprung solcher gemischten Götterdarstellungen ist in der orientalischen Kunst zu suchen. Sowohl durch die Phönizier als auch durch die Ionier kamen die Darstellungen im 8. Jh. v. Chr. nach Griechenland, wo sie großen Anklang fanden. Jenen Göttern, die von den Menschen verehrt wurden, wurden übermenschliche Kräfte zugeschrieben. Man glaubte, dass diese übermenschlichen Kräfte der Götter Grund für Naturkatastrophen und Unglücke waren. Bspw. wurde bei rauer See, Schiffsunglücken oder schlechtem Fischfang angenommen, dass Meeresgötter wie Triton erbost waren und durch ihre Kräfte ihren Zorn auf die Menschen richteten. Dass Triton jedoch auch ein Helfer der Menschen war, wird in der Argonautensage deutlich: Hier half er Schiffen, die durch einen Sturm in der Wüste gestrandet waren, wieder ins Meer.

Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 19.