Objekte für Heilzwecke können in manchen Gesellschaften Elemente gleich mehrerer Glaubensrichtungen aufweisen. So verhält es sich beispielsweise bei den äthiopischen Zauberrollen (1), die Elemente der jüdischen, christlichen, koptischen und afrikanischen Kultur miteinander verbinden. Sie werden genau wie die islamische Schale (2) für Heilzwecke genutzt. Diese wird mit magischen und religiösen Formeln, Zeichen und Symbolen bemalt und mit Wasser gefüllt, das danach den Kranken verabreicht wird. Es soll eine heilende Wirkung besitzen, da die magische Kraft der Schale vorher auf ihren Inhalt übergegangen ist. Talismane mit Koranversen (3) oder der Hamsa (4) sollen ihren Träger vor dem sog. bösen Auge oder bösen Blick genauso wie vor drohendem Unheil schützen. Sie sind sowohl im muslimischen als auch im afrikanischen Kontext anzutreffen. Im Gegensatz dazu können sowohl der Nkisi (5) als auch die bonecas de pano (,,Voodoopuppen“) (6) ebenfalls für übelwollende Zwecke genutzt werden. Das Kaurimuschelarmband (7) wird am Ende von Besessenheitszeremonien verschenkt, um die spirituellen Heilungskräfte mit nach Hause zu nehmen. Durch die Miniatur der Anatomie eines Auges (8) wird niemand – wie bei den Talismanen – durch magische Zwecke vor bösen Geistern bewahrt. Sie sorgt vielmehr dafür, dass der Arzt einen besseren Kenntnisstand hat und weniger Fehler bei Behandlungen oder Operationen begeht. Dadurch wird die zu behandelnde Person aber wieder indirekt geschützt.
Objekt 1 | Äthiopische Zauberrollen
Objekt 2 | Islamische magische Schale
Objekt 3 | Schutz-Talismane mit Koranversen
Objekt 4 | Sog. Hand der Fatima (hamsa)
Objekt 6 | bonecas de pano (Stoffpuppen)
Objekt 7 | Kaurimuschelarmband des orixá Omolu
Privatbesitz, Dauerleihgabe Bibelmuseum der
Universität Münster
Pergament
linke Rolle: L 160 cm; rechte Rolle: L 174 cm
19. Jh., aus Äthiopien
Äthiopische Zauberrollen werden seit Jahrhunderten zu Heilzwecken verwendet. Dabei wird die Zauberrolle dem/der Erkrankten auf den Körper gelegt, um ihn von Krankheiten und bösen Geistern zu befreien. Die Länge der Zauberrollen entsprach der Körpergröße der Person, für die sie angefertigt wurden. Auf diesen waren Gebete und Bilder aufgebracht, um die Dämonen, die für die Krankheit verantwortlich sind, aus dem Kranken zu vertreiben. Eine Zauberrolle dient nicht nur als bloßes um den Hals gehängtes Phylakterium zur Abwehr der Kinderkrankheit, sondern die Abwehr der Krankheit vollzieht sich in der Anrufung des Namens des Susneyos und v. a. in der Rezitierung der Erzählung des Susneyos, dem ersten katholischen Kaiser (1607-1632) von Äthiopien. Alle Zauberrollen beginnen mit der Formel: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, (des) ein(en) Gottes.“ Zur ,,Fesselung“ des Dämons folgt dann ein längeres Gebet. Unter den figürlichen Motiven auf der Pergamentrolle sind Maria, Heilige und Dämonen und besonders Engelsgestalten zu finden. Die Zauberrollen sind ein Beispiel für die Vermischung christlichen Kulturguts mit koptischen, jüdischen und einheimischen Elementen.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 96.
Privatbesitz Jens G. Fischer (2019 im Souk von Tunis
erworben)
Messing
Dm 21,3; H 6,6 cm; G 620 g
wohl frühes 20. Jh., Iran?
Die auch als „Schreckschalen“ bekannten magischen Schalen haben im Nahen und Mittleren Osten eine lange Tradition. Die „islamischen“ Schalen waren jedoch auch bei nichtmuslimischen Bevölkerungsgruppen in Gebrauch. Sie bestehen meist aus Metall, üblicherweise Bronze oder – gerade bei jüngeren Objekten wie dem hier vorliegenden – aus Messing. In islamischen Kontexten sind magische Schalen üblicherweise mit Koranzitaten beschriftet, doch auch andere magische und religiöse Formeln sowie Symbole und Zeichen (z. B. des Tierkreises) kommen nicht selten vor. Sie werden mit Wasser gefüllt, das man anschließend Kranken, Verwirrten („von Dämonen Besessenen“) oder z. B. auch Wöchnerinnen zu trinken gibt; alternativ können in solchen Gefäßen auch Räuchermittel verbrannt werden. Dahinter steht die Vorstellung, dass die magische Kraft der beschrifteten Schale auf ihren Inhalt übergeht und dann zu Heilzwecken und/oder zur Abwehr böser Geister verwendet werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 98.
Privatbesitz Emma Wendt
Stoff, Leder, Papier und Muscheln
Mit Muscheln: 25,5 x 25,5 x 1,5 cm
Mit drei Säckchen: 30 x 33 x 1 cm
2023, aus Dakar (Senegal)
Zu sehen sind zwei Talismane in verschiedenen Anfertigungen, die im senegalesisch-muslimischen Kontext Gris-Gris genannt werden. Innerhalb des Leders und Stoffes sind auf Arabisch verfasste Koranverse eingearbeitet. Je nach Bedürfnis des Tragenden werden unterschiedliche Koranverse verwendet, die ein Marabout (sufischer Gelehrte) je nach gewünschter Wirkung auswählt. So dienen die Gris-Gris verschiedenen Zwecken: zum Schutz vor dem bösen Auge, Flüchen und Unheil, für Wohlstand, Gesundheit, Erfolg, Liebe, Nachwuchs, aber auch zur Verhütung. Die Talismane werden unter der Kleidung um die Hüfte getragen und bei spirituell unreinen (z. B. sexuellen) Tätigkeiten abgenommen. Oftmals werden sie auch Babys und Kleinkindern umgelegt, da diese den Koran noch nicht selbst lesen können und daher durch die Talismane die schützende Wirkung der Koranverse erhalten sollen. Neben den Gris-Gris mit eingearbeiteten Koranversen gibt es Exemplare, die zusätzlich oder ausschließlich mit Tierknochen, Reptilienhaut oder Steinen gefüllt werden.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 99.
Religionskundliche Sammlung der
Universität Münster (ehemals Sammlung Dr. Patrick
Felix Krüger)
Inv. RS 338
Messing?
H (ohne Öse) 8,7; H (mit Öse) 9,5; B 6,5 cm
zeitgenössisch, ca. 2000, aus Nordafrika
Die Ḫamsa (dt. fünf), auch Hand der Fatima genannt, ist in verschiedenen Formen in der materiellen Kultur und Kunst der Regionen Südwest-Asiens und Nordafrikas verbreitet – und das nicht nur in jüdischen und muslimischen Kontexten. Das Symbol der rechten, ausgestreckten Hand soll vor dem sog. bösen Blick schützen und fungiert damit als Talisman. Im islamischen Kontext sind sie damit Objekte, denen Schutzeigenschaften zugeschrieben werden und die im Laufe der Zeit entstanden sind, um die Tragenden zu schützen, wie z. B. mit Koran-Zitaten bestickte Gewänder, kleine illuminierte Manuskripte oder eben das Symbol der Ḫamsa. Auch heute erfreut sich das Symbol noch großer Beliebtheit. Oft wird es als Amulett verwendet, das direkt am Körper getragen oder in Räumen aufgehangen werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 100.
Soul of Africa Museum, Essen, Inv. SoA 592
Holz, Eisen und organisches Material
H ca. 75 cm
19./20. Jh., aus der Demokratischen Republik Kongo
Diese Kraftfigur aus der Demokratischen Republik Kongo (vormals Zaire) gehört zur Objektgruppe der minkisi (Singular: nkisi). Diese Kraftfiguren werden zunächst als Behälter gefertigt, in die rituelle Spezialisten (baganga) dann besondere Substanzen einfügen oder anfügen (so etwa ermächtigendes Material an Kopf, Augen, im Bauch und am Rücken). Dies dient dem Zweck, übernatürliche Kräfte zu aktivieren und deren Wirken in der physischen Welt heraufzubeschwören. Die Figur besitzt den für minkisi typischen Zusatz eines verspiegelten Behälters im Zentrum des Bauchs, der als bevorzugter Ort und Quelle magischer Kraft gilt. Ebenfalls typisch ist der starre Blick, der oft durch das Anbringen zusätzlichen Materials an den Augen bewirkt wird. Minkisi können für verschiedene wohlmeinende, aber auch übelwollende Zwecke eingesetzt werden. Die vorliegende Figur gehört zu den minkisi nkondi, die zur Jagd auf Übeltäter und Hexen eingesetzt werden.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 101.
Privatbesitz Dr. Helmar Kurz
Stoff
Puppe 1: H 15,3; B 6,4 cm;
Puppe 2: H 13,9; B 5,9 cm
2022, aus Salvador da Bahia (Brasilien)
Die im deutschen Sprachgebrauch als „Voodoopuppe“ bezeichnete boneca de pano wird für Liebes-, Heilungs-, und Schadenszauber innerhalb magischer Praktiken im Kontext der afro-brasilianischen Religionen Candomblé und Umbanda verwendet, die auch als Macumba bezeichnet werden. Die Parallelen zum haitianischen Voodoo ergeben sich aus der gemeinsamen Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels. Diese Puppen kann man jeweils als Paar auf dem Markt São Joaquim in Salvador da Bahia in Brasilien erwerben. Es gibt sie in Weiß, Rot und Schwarz. Für einen Liebeszauber oder Heilungsabsichten würde man eher die weißen Puppen verwenden, indem man sie aneinanderbindet oder sie „behandelt“. Für einen Schadens- oder sogar Todesfluch würde man eher die roten bzw. schwarzen Puppen wählen, z. B. durch das allseits bekannte Einstechen von Nadeln. Die Puppen unterscheiden sich zudem in ihrer Größe; die etwas Kleinere stellt eine weibliche Person, die etwas Größere eine männliche dar. Je nach Bedarf wählt man die entsprechende(n) Puppe(n) aus, die dann zunächst den Zielpersonen zugeordnet werden müssen, bspw. durch ein angeheftetes Foto oder Körperteilen wie Haare oder abgeschnittene Fingernägel. Viele Menschen in Brasilien, und insbesondere in Bahia, sind daher sehr vorsichtig beim Besuch des Friseurs oder bei der Wahrnehmung einer Mani-/Pediküre.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 105.
Privatbesitz Dr. Helmar Kurz
Kaurimuschel und Strohfasern, in Plastikbeutel
H 5; B 5 cm
2007, aus Cachoeira/Bahia (Brasilien)
Das Armband wurde am Ende einer Besessenheitszeremonie der Krankheits- und Heilungsgottheit Omolu im afro-brasilianischen Candomblé an alle Teilnehmer*innen verschenkt, um die spirituelle Heilungskraft mit nach Hause zu nehmen oder an Bedürftige weiterzugeben. Im synkretischen Kontext wird Omolu gleichgestellt mit St. Lazarus und St. Rochus. Anhänger*innen und Initiierte im Candomblé sind ggf. keine Patienten im herkömmlichen europäischen Sinn, auch wenn Leiden und Krankheit immer wieder als Beweggründe für eine Initiation aufgeführt werden. Vielmehr kann man den kranken Körper als Metapher für eine kosmologische bzw. soziale Störung verstehen. Omolu bezieht seine heilenden und reinigenden Kräfte aus der Natur. Die Kaurimuschel ist eines seiner wichtigsten Accessoires, weil sie ein Symbol für Reinheit und Heilung ist. In Brasilien wird sie oft auch durch Popcorn ersetzt.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 104.
Fotodruck, Original:
Bibliothèque nationale de France, Paris
Inv. hébr. 1181, fol. 265r
Original: Pergament
H 35; B 24,5 cm
Ende 14. Jh., aus Südfrankreich
Medizin und medizinische Literatur wurden im mittelalterlichen Judentum besonders auf der Iberischen Halbinsel gepflegt. Seit dem 12. Jh. wurden zahlreiche wissenschaftliche Schriften ins Hebräische übersetzt bzw. original verfasst. Der Pariser Sammelband medizinischer Traktate gehört in diese Kategorie. Die Miniatur behandelt die Anatomie des Auges. Gezeigt ist der Oberkörper eines Mannes, aus dessen Auge ein Strahl (als „Sichtsehne“ bezeichnet) zu einem schematischen Augendiagramm führt. Das Bild trägt den Titel „Die Form des Auges, seine Schichten und Flüssigkeiten“. Das Auge hat sieben Schichten, wobei für deren Bezeichnung hebraisierte lateinische Namen angegeben sind. Ganz rechts sehen wir die Pupille, aus der je zwei Linien nach oben und unten führen. Ihnen wird der Begriff „Augenwurzeln“ zugeordnet. Das Diagramm und seine Beschriftung bezeugen relative fortgeschrittene Kenntnisse der Anatomie des menschlichen Körpers, die sich aus der griechischen und arabischen Wissenschaftsgeschichte herleiten. Diese Kenntnisse fanden ihren praktischen Niederschlag in der Arbeit zahlreicher jüdischer Ärzte, die im Mittelalter besonders an den Höfen tätig waren. Da Juden nicht an den Universitäten zugelassen wurden, wurde medizinisches Wissen meist von Vätern an ihre Söhne weitergegeben
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 94.
Religionskundliche Sammlung der Philipps-Universität Marburg
Inv. Gk 013
bemalte Aluminiumfolie auf Holz
H 27; B 22 cm
20. Jh., aus Jerusalem
Die hamsa (jüdische Amuletthand) steht im Judentum für die ,,Hand Gottes“ und soll durch ihre magischen Eigenschaften Schutz spenden, daher findet man sie auf vielen verschiedenen Objekten wieder. Auf der obersten Zeile des ausgestellten Stücks steht geschrieben: ,,Schutz vor dem bösen Blick“. Auf den Fingern wird Jakobs Segen für Josef zitiert. Da der Segen mit Fruchtbarkeit assoziiert wird, wird neben Schutz auch darum gebeten.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 93.