Die Praktik des Tätowierens ist durchaus kein neuzeitliches Phänomen, sondern blickt auf eine lange Geschichte zurück, die durch den Fund des vor 5.300 Jahren verstorbenen ,,Ötzi“ belegbar ist. Dieser stellt nach aktuellem Kenntnisstand die älteste tätowierte Mumie der Welt dar. Den Tätowierungen wird eine hauptsächlich medizinische Bedeutung zugesprochen, da bei „Ötzi“ degenerative Gelenkerkrankungen an Knie und Knöchel nachgewiesen sind und er an derselben Stelle Tätowierungen in Form von Kreuzen trägt. Sie sollen demnach den Körper schützen, gleichzeitig die Vitalität fördern und bereits vorhandene Leiden kurieren.
Aus dem alten Ägypten stammt diese Frauenfigur mit Tätowierungen (1), die aus blauer Fayence besteht und neben den Tätowierungen noch mit Schmuckstücken wie Ketten, Armbändern oder einem Hüftgürtel aus Kaurischnecken verziert ist. Derartige Figuren werden hauptsächlich im Grabkontext gefunden und deshalb als Opfergabe an verstorbene Verwandte gedeutet. Die Tattoos auf ihrer Haut symbolisieren Fruchtbarkeit und haben zudem eine schützende Funktion, indem sie Dämonen und damit verbundene Krankheiten abwehren.
Eine tätowierte Frau (2) ist auf einer Amphora mit dem Tod des Orpheus abgebildet. Erkennbar ist er an seinem Instrument, der Lyra, die er zur Verteidigung erhebt. Die weibliche Angreiferin zur Linken zeichnet sich durch ihre Tätowierungen als Thrakerin aus. Schriftzeugnisse geben unterschiedliche Begründungen für die Tattoos. Sie ermorden Orpheus, weil dieser sich von den Frauen abgewendet und die Knabenliebe in Thrakien eingeführt hat.
Objekt 1 | Frauenfigur mit Tätowierungen
Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches, Inv. ÄM 9583
Museum und Papyrussammlung
Fayence
H 13,7; B 4,7 cm
Mittleres Reich (2137-1781 v. Chr.), unbekannt
Aus dem ägyptischen Mittleren Reich stammt eine Gruppe von kleinen Frauenfiguren, die größtenteils in Gräbern gefunden wurden. Eine davon ist diese Figur aus blauer Fayence, die eine nackte, mit Tätowierungen, Ketten und Armreifen geschmückte Frau zeigt. Die Oberschenkel sind mit rautenförmigen Mustern aus zusammengesetzten Punkten bemalt, die vermutlich Tätowierungen darstellen sollen. Tätowierungen dieser Art sind auch auf mumifizierten, meist weiblichen Körpern belegt. Obwohl es ferner einige wenige Beispiele für tätowierte männliche Körper gibt, wird trotzdem oft angenommen, dass es sich um eine überwiegend weibliche Form der Körpermodifikation handelte. Die Rauten auf den Oberschenkeln der Figur könnten Kaurischnecken symbolisieren, die in ihrer Form an die weibliche Vulva erinnern und daher als Zeichen für Fruchtbarkeit aufgefasst wurden. In Kombination können sie aber gleichzeitig ein Perlennetz darstellen, das im Alten Ägypten als besonders erotisches Kleidungsstück galt. Die Dreiecke, die ebenfalls häufig als Tätowierungen belegt sind, hatten dagegen eine schützende Funktion. Sie wehrten Dämonen ab, die durch Körperöffnungen eindringen und Krankheiten bis hin zu Fehlgeburten verursachen konnten. Da die Figuren meist in Grabkontexten gefunden wurden, liegt eine Verwendung als Opfergabe an verstorbene Verwandte nahe.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 84.
Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München, Inv. SH 2330
Ton
H 32,5 cm
440–430 v. Chr, aus Unteritalien
Diese attische, rotfigurige Amphora zeigt den Tod des Orpheus. Dieser ist zu erkennen an seinem Saiteninstrument, der Lyra. Er hebt sein Instrument, in einem Versuch sich vor seiner Angreiferin zu schützen, fällt aber unterlegen zu Boden. Die angreifende, weibliche Figur hält ein Schwert. Ihre Arme sind frei und die winkelförmigen Dekorationen darauf gut zu erkennen. Sie ziehen sich auf beiden Armen von den Schultern bis zu den Handgelenken. Diese Tätowierungen zeichnen die Angreiferin als Thrakerin aus. Warum die Thrakerinnen Orpheus umbringen, hat mehrere Erklärungen. Entweder sind sie Mänaden und von Dionysos geschickt worden oder Orpheus hat ihre Männer durch seine Musik abgelenkt. Während die Griechen Tattoos als Bestrafung nutzten, hatten Tattoos für die thrakische Bevölkerung eine andere Bedeutung. Herodotus und Dio Chrysostom beschreiben sie als Zeichen des thrakischen Adels; je mehr und je detailreicher, desto höher war der soziale Stand. Bei den Thrakerinnen sind die Körperornamente auf Armen und Beinen, selten auch an Füßen und Hals zu finden, in einer Vielfalt von Mustern, Linien und figürlichen Darstellungen von Schlangen und unbestimmbaren Säugetieren.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 90.