Die Illustration in der Hymne der jüdischen Feiertagsliturgie zeigt eine Hochzeitsszene (1) (Kat. 64). Allerdings sind Mann und Frau nicht in ihren typischen Geschlechterrollen zu verstehen, obwohl zahlreiche realistische, dem zeitgenössischen Hochzeitsritual entnommene Elemente wiedergegeben sind. Der Bräutigam wird als Allegorie Gottes, die Braut als Figuration der weiblichen Gemeinde Israel verstanden.
Ein Text nebst Miniatur im Werk „Zum Nutzen der Tiere“ widmet sich Mann und Frau. Die Illustration (2) zeigt deutlich, dass der menschliche Körper gar nicht anders gedacht und geschildert werden konnte als in Form der bipolaren Geschlechter als Mann und Frau.
Gemäß islamischer Auffassung im 14. Jh. und heute beten Männer und Frauen in der Moschee in getrennten Bereichen; die Frauen auf der Illustration aus einer Handschrift der „Maqamen von al-ariri“ (3) haben eine eigene Empore.
Das Grabbanner (4) zeigt das Geschwisterehepaar Nüwa und Fuxi als Mischwesen von Schlange und menschlichem Oberkörper. Das Zusammenspiel von Männlichkeit und Weiblichkeit wird als Teil der Einheit von Yin und Yang im chinesischen Bestattungskontext gesehen.
Die Abreibung von zwei Türpfeilern (5) eines Grabes zeigen als Hauptmotiv auf dreigipfeligen Thronen die Königinmutter des Westens und den Königsvater des Ostens. Diese symbolischen Gegensätze in Himmelsrichtung, Geschlecht spiegeln die kosmischen, vom Daoismus geprägten Kräfte Yin und Yang wider, als deren Verkörperung die Königinmutter (Yin; Weiblichkeit) und der Königsvater (Yang; Männlichkeit) verstanden werden.
Objekt 1 |Hochzeitsszene aus der „Hammelburger Mahzor“
Objekt 2 | Miniatur aus der Handschrift
„Manāfiʿ al-ḥayawān“ (Die Nutzen der Tiere)
Objekt 3 | Miniatur aus einer Handschrift mit Betenden
Objekt 4| Grabbanner mit Schöpfergottheiten Nüwa und Fuxi
Objekt 5 | Türpfeiler mit der Königinmutter des Westens und dem Königvater des Ostens
Hessische Landes- und Universitätsbibliothek, Darmstadt, Inv. MS Or. 13, fol. 65v
Fotodruck, Original: Papier
Original: H ca. 30 cm
1348, aus Hammelburg (Franken)
„Mit mir komme vom Libanon, meine Braut“ ist ein Zitat aus dem biblischen Hohelied (Hhl. 4:8) und der Titel einer liturgischen Hymne der jüdischen Feiertagsliturgie.
Der Inhalt ist erotisch, weshalb es oft als Allegorie der Liebe Gottes zu seinem Volk aufgefasst wird. Die Hymne behandelt die Knechtschaft in Ägypten und die Befreiung Israels, weshalb sie daher am Shabbat vor dem Pesach-Fest gesungen wurde. Der Inhalt dieser Hymne ist durch die Darstellung einer Hochzeitszeremonie visualisiert. Der Bräutigam ist allerdings nicht als anthropomorphe Gottesdarstellung zu verstehen, vielmehr zeigt dieses Bild zahlreiche realistische, dem zeitgenössischen Hochzeitsritual entnommene Elemente. Das Paar erscheint unter einem Hochzeitsbaldachin, der in dieser Form im späteren Mittelalter eingeführt wurde. Auch der Kelch in der Hand der Frau und der vom Bräutigam gehaltene Ring sind Teile dieses Rituals. Jüdische Hochzeitsringe, die nicht als „Eheringe“ verwendet wurden, waren aufwendig gestaltete, nur für die Hochzeitszeremonie genutzte Schmuckstücke. Ein wesentlicher Bestandteil der Zeremonie sind sieben Segenssprüche, die mit einem Weinsegen beginnen, worauf der erhobene Weinkelch in der Hand der Braut anspielt.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 64.
Original: The Morgan Library, New York, Inv. MS M.500 fol. 4v
Papier und Malerei
H 35,5; B 28 cm
1297–1298 oder 1299–1300, aus Maraghah (Iran)
Es existiert eine ganze Buchreihe über den Nutzen der Tiere (manāfiʿ al-ḥayawān), die zur medizinischen Fachliteratur zu zählen ist. Sie handeln von den medizinischen Anwendungsmöglichkeiten verschiedener Teile von Tieren. Besonders bekannt ist ein Werk dieses Titels, das dem Arzt ʿUbaydallāh Ibn Bakhtīshūʿ (11. Jh.) zugeschrieben wird. Dieses Werk enthält auch einen Abschnitt über den Nutzen der menschlichen Körperteile. Unter der Überschrift „Erstes Kapitel über den (medizinischen) Nutzen von Mann und Frau“ sehen wir zwei Menschen, die durch bestimmte Merkmale als “männlich” und “weiblich” identifiziert werden. Ein Tuch deckt die Schamteile der beiden Körper ab. Die Geschlechter lassen sich trotzdem zuordnen. Das Haar des Mannes ist schulterlang, während die Frau ihr Haar zu zwei beinahe bodenlangen Zöpfen geflochten hat. Der Mann trägt einen Bart, während die Frau Ohrringe besitzt. Zudem ziert Schmuck ihre Arm- und Fußgelenke, während sich der Mann auf einen Stab stützt. Außerdem hat die Frau ihr Tuch nicht nur über die Schultern, wie der Mann, sondern auch noch über ihr Haupt gezogen, zumindest ein klein wenig. Interessanterweise unterscheiden sich die beiden nackten Brustkörbe kaum. Ansonsten werden die nackten Körperteile der Frau allerdings durchgängig runder und üppiger dargestellt als die des Mannes. Die Illustration zeigt deutlich, dass in dieser Zeit der menschliche Körper gar nicht anders gedacht werden konnte als in Form der bipolaren Geschlechter Mann und Frau.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 69.
Bibliothèque Nationale de France, Paris, Inv. BnF arabe 5847 fol. 58v
Fotodruck, Original: Papier
H 35,5; B 28 cm
1236, aus dem Irak
Die Miniatur aus einer Handschrift der „Maqamen von al-Ḥarīrī“, gemalt von Yaḥyā al-Wāsiṭī, zeigt eine Predigtszene in einer Moschee: Auf einem Minbar (einer Art Predigtkanzel) sitzt ein Prediger, der die um ihn versammelte Gemeinde mit ausgestreckter Hand anspricht. 13 Männer, kenntlich an ihren bunten Turbanen, sitzen zu seinen Füßen. Eine kleinere Gruppe Frauen und ein kleines Mädchen, deren farbenfrohe Gewänder auch die Haare bedecken, verfolgen das Geschehen von einer erhöhten Empore. In Moscheen ist es bis heute üblich, dass Frauen und Männer das Gebet räumlich voneinander getrennt abhalten. Frauen ist – anders als Männern – die Teilnahme am gemeinsamen Freitagsgebet nicht vorgeschrieben, weshalb offensichtlich ein eigener Gebetsbereich für sie in den meisten Moscheen nicht vorgesehen war. In osmanischen Moscheen findet man häufig kleine improvisiert, abgetrennte Bereiche, in denen Frauen beten können und ungestört von männlichen Blicken sind. In anderen Regionen hat man Moscheeformen mit einem architektonisch abgetrennten Frauenbereich. So können Frauen auch auf die Qiblawand (Die Wand in Richtung von Mekka) blicken.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 70.
Fotodruck, Original: Museum der autonomen Region Xinjiang, Urumqi
Inv. XB8095
Original: Tusche und Farbe auf Leinwand
H 154; B 76–96 cm
6.–8. Jh. n. Chr. (Tang-Dynastie), aus Astana (China)
Auf diesem Grabbanner der chinesischen Tang-Dynastie sind zwei Personen mit menschlichem Oberkörper und schlangenartigem Unterkörper abgebildet. Die linke Person hält in gehobener Hand einen Zirkel, die rechte Person ein Winkelmaß in der einen und ein Lot in der anderen Hand. Über ihren Köpfen ist eine Sonne und unter ihnen ein Mond zu sehen. Es handelt sich um Nüwa 女媧 (links) und Fuxi 伏羲 (rechts), ein in der chinesischen Mythologie bedeutsames Geschwister-Ehepaar. Der „runde“ Himmel wird mit Nüwa und ihrem Zirkel und das eckig imaginierte Reich unter dem Himmel mit Fuxi und seinem Winkelmaß verknüpft. Derartige Gegensätze sind untrennbar mit dem durch den Daoismus geprägten Konzept der gegensätzlichen, sich aber zu einer harmonischen Einheit ergänzenden Kräfte Yin 陰 und Yang 陽 verbunden. Die abgebildete Sonne ist in ihrer männlichen Yang-Energie mit Fuxi verbunden und der Mond mit seiner weiblichen Yin-Energie mit Nüwa. Die Darstellung der beiden im Bestattungskontext symbolisiert die Abgrenzung des Himmels und des irdischen Reichs und kann auf das Grab und seine Außenwelt übertragen werden. So stellte man sich das Grab auf eine Art als eigenes „Reich“ vor, welches, zwar abgegrenzt von der Außenwelt, mit dieser doch in Harmonie existieren sollte. Dieses Stück bringt zum Ausdruck, welche Bedeutung dem Zusammenspiel von Männlichkeit und Weiblichkeit als Teil der Einheit von Yin und Yang im chinesischen Bestattungskontext zugeschrieben wurde.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 78.
Fotodruck, Original: Beizhai Han-Gräber Museum,
Shandong
Original: Druck einer Abreibung eines Steinreliefs
westlicher Pfeiler: H ca. 112; B ca. 42 cm;
östlicher Pfeiler: H ca. 112; B ca. 38 cm
späte Östliche Han-Zeit (25–220 n. Chr.), aus Yinan
(China)
Diese Darstellungen entstammen zwei Türpfeilern am Eingang eines Steingrabs der östlichen Han-Zeit. Auf dem östlichen Pfeiler sind oben Fuxi und Nüwa (Objekt 4) abgebildet. Besonders wichtig sind hier die mittigen Personen auf dem Thron. Dabei handelt es sich um die Königinmutter des Westens (Xi wang mu 西王母) und den Königvater des Ostens (Dong wang gong 東王公). Der Königinmutter kommt jedoch eine bedeutendere Rolle zu als dem Königvater, der in vielen Darstellungen nicht vertreten ist. Der Legende nach lebt die Königinmutter im Kunlun-Gebirge, der Schnittstelle von Himmel und Erde. So kann ihre Darstellung am Grabeingang als Symbol der Transzendenz verstanden werden.
Diese symbolischen Gegensätze in Himmelsrichtung, besonders das Geschlecht, spiegeln die kosmischen, vom Daoismus geprägten Kräfte Yin 陰 und Yang 陽 wider. Deren Verkörperung sind die Königinmutter (Yin; Weiblichkeit) und der Königvater (Yang; Männlichkeit). In dieser Darstellung werden Yin und Yang separat personifiziert. In anderen Darstellungen wird die Königinmutter des Westens jedoch mit Tiger und Drachen imaginiert, was ihr endgültiges Überschreiten der kosmischen Polarität – und ebenso der darin inbegriffenen Geschlechterpolarität – visualisieren soll. Sie vereint also Yin und Yang, Weiblichkeit und Männlichkeit, Mutter und Vater in einer einzigen göttlichen Figur.
Weitere Informationen finden Sie in dem Katalog der Sonderausstellung unter Katalog-Nummer 79.